René Schickele an Thomas Mann
Sanary-sur-Mer, 18. November 1933

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Original: Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek. München.

 

Sanary-sur-mer (Var)
"Le Chêne"
18. XI. 33.

Lieber Thomas Mann,

Ihr Buch habe ich nun zum zweiten und manches daraus zum dritten Mal gelesen. Und ich bedauere alle, die sich einen solchen Lese-Luxus nicht erlauben können. Schliesslich ist es auch nicht viel anders als bei einer Partitur, die man zwar herunterlesen kann, deren Schönheiten sich aber erst bei "voreingenommenem" Gehör recht erschliessen. Man hört auch beim Lesen erst einmal zu flüchtig, umsomehr als der Dichter zum Unterschied vom Musiker dem Leser mit etwas grob Sinnlichem, fast allzu Handgreiflichem nämlich mit einer "Handlung" zusetzt.

Ich finde das Buch meisterhaft, und wenn ich beim ersten Lesen zuweilen den Eindruck von Ueberlelastung hatte, so fand ich beim Wiederlesen allen Stoff restlos bewältigt und in die seltsam jüdisch-sacrale Musik dieser Sprache aufgelöst. Auch dort, wo Ihr Barock (unbegreiflich, dass Sie Jean Paul nicht lieben!) gleichsam in den Jesuitenstil übergreift, diese Ihre steifkomische, bewusste Koketterie, diese ironische Ekstase Ihres Stils, ein "Nichtgenugkriegenkönnen" an dem Ihnen eigenen sprachlichen Liebreiz – ja also, wie soll ich sagen: auch wenn Ihre Sprache zur lübeckischen Kurtisane wird, auch dort und gerade dann war ich im heiterer Weise entzückt

Aber – es ist ein schweres Buch. Und das ist gerade jetzt gut. Da es vermutlich das letzte ist, dass die guten Deutschen von Ihnen ohne List und Tücke lesen werden, haben sie reichlich Zeit, es sichanzueignen.

Heute las ich in der Frankfurter Zeitung" von der feierlichen Verkündigung der deutschen Kulturkammer und hatte gleich zu Beginn ein feuchtes Auge, weil ich mir so gut Hitler und Hauptmann Auge in Auge vorstellen konnte und den Händedruck, der dieses Bündnis besiegelte – ketzt, da der Staat so total geworden ist, dass sogar das Dachauer Konzentrationslager fast geschlossen für Hitler stimmte! Vom 1 Dezember an werden wir also dem deutschen Schrifttum nicht mehr angehören. Ausländer und Inländer sind in den Statuten ausdrücklich gleichgestellt – nebenbei eine Frachheit.

Mit meinem Buch gab es ein langes Hin und Her, weil Bermann so gern massenhaft gestrichen hätte. Loerke schrieb mir einen Brief, den ich Ihnen zeigen werde, wenn Sie das Buch gelesen haben. Jetzt erscheint es ohne Striche, aber um Wochen verspätet, ich denke gerade, bevor der Vorhang fällt, kurz vor dem 15. Dezember. Möglich, dass es am gleichen Tag verboten wird. Dann werde ich nach Amsterdam "gehn", aber nicht zu Querido, sondern zu de Langen, dessen Verlag politicch nicht polemisieren will. Bei Querido weiss man nicht, in welche Gesellschaft man gerät, und ich will weder mit offenem, noch mit getarntem Bolschewismus etwas zu tun haben. Abgesehn von anderm, vergesse ich nicht, dass Moskau die Welt mit den Methoden beschert hat, die jetzt, mit verschiedenen Vorzeichen, die halbe Welt beherrschen. Ich weiss, es ist schwer, seine Selbständigkeit zi wahren und vielleicht nicht einmal richtig. Ich bin aber in jeder Weise unfähig, anders zu handeln.

Hat Rolland bei Ihnen angefragt, bevor er "spontan" (statt Heinrich Manns...) Klaus seinen kleinen Bannstrahl zur Verfügung stellte? Mich hat er nicht gefragt, was ich mit Rücksicht auf die Art, wie ich in Jahren, die er nicht vergessen haben kann, zu ihm gestanden habe, verwunderlich finde. Freilich geht er heute durch Dick und Dünn mit Moskau. Und ich weiss längst, wie man dann wird, wenn man erst so weit ist! Pfaffen allesamt! Grosse und Kleine. Bei Gide ist es anders. Was blieb dem moralisch strapazierten Mädchen in seinem Alter viel anders übrig als fromm zu werden! Und heute bekehrt man sich eben nicht mehr zum Katholizismus wie zur Zeit der Huysmans und Claudel, sondern zum Kommunismus aktivster Form.

Raten Sie, wer wm meisten über uns entrüstet war! Nein, Sie werden es nie. Georg Bernhard, dessen Frisch-fromm-fröhliches Abendessen Ihnen hoffentlich noch aus der Erzählung Ihres Bruders in Erinnerung ist, der sich bis zuletzt anklammerte und zu jedem Kompromiss bereit war, wenn man ihn nur leben liesse – und der sagenhafte Dr. Breitscheid, der in feierlicher Reichstagsitzung für Hitler stimmte... Immerhin war Schwarzschild nicht töricht genug, das zu tun, was die Nazis erwarteten, nämlich einen Teil der Emigrierten gegen den andern aufzuwiegeln, der, allein durch Ihre Gegenwart, kaum der unbeträchtlichere ist. Dagegen telegrafierte an Feuchtwanger die Aufforderung, gegen die vier "Schweine" zu schreiben.

Bezeichnender Weise drangen die Wellen der Empörung nicht über das Familiebplanschbecken hinaus. Die Franzosen ignorieren die Geschichte und auch das übrige Ausland. Die Franzosen vermutlich schon allein deshalb, weil ihnen die Emigranten schon beträchtlich auf die Nerven gehn – bis zur plumpen Gehässigkeit Paul Morands in "1933". Das Präventiv krieg-Geflüster und çGehetze von Leuten, von denen nicht einer im Ernstfall an die Front ginge, so sagen sie, lässt nicht nur die gebotene Zurückhaltung sondern das kümmerlichste Schamgefühl vermissen. In einem Jahr wird es, geistig gesehn, keine Spur mehr einer deutschen Emigration geben. Übrig bleiben w rden die "Einzigen" und "ihr Eigentum". Der eigentliche Feind ist der heutige Kollektivwahn. Das heutige "Kollektiv" ist nicht etwas Organisches wie im Mittelalter oder in noch früheren Kulturen, sondern die mit allen Mitteln der Hypnose und Gewalt erpresste Unterwerfung ganzer Völker unter den Willen eines Demagogen, der alle Machtmittel des Staates auf seine Seite gebracht hat, eine lückenlose Sklavenkette. Das ist beispiellos, das hat es noch nie gegeben – die heutige Technik erst ermöglichte die Lückenlosigkeit der Versklavung. Und nachdem dieser Lückenlosigkeit gegenüber die bestorganisierten Parteien geradezu kläglich versagt haben, sollen Dichter auf jene Barrikade steigen, die zur lächerlichsten aller Metaphern geworden ist? Victor Hugo war verbannt, jawohl, aber (abgesehn davon davon, dass er als Politiker allemal humoristisch wirkte) jedes seiner Worte, ja, jeder seiner Atemzüge war in Paris hörbar, er hatte seine Partei im Lande und sogar am Hof. Die bonapartistische Diktatur verhält sich zur heutigen wie eine zierlich gearbeitete Pistole zu einem Maschinengewehr. Sie kann nicht abgelöst oder gestürzt werden, sie endet nicht anders als in einer neuen Weltkatastrophe. Oder aber sie hält sich so lange, dass sie sich in Sicherheit wiegt, sich grossmütig zeigt, und von einer neuen Generation durchsetzt wird, die unmerklich ihren Körper verwandelt, wie eben der Körper durch eine andre Lebensweise und der Geist durch eine andre Denkweise verwandelt wird. Und dann, dann erst wird eine aktive Opposition im alten Sinne möglich sein. Bis dahin können wir nichts tun als uns selbst behaupten und die Rüsthäuser des Geistes in Ordnung halten, indess die Barbaren Masken und Parolen wechseln immer mit dem gleichen Ziel: sich unter grenzenloser Anwendung von Gewalt und Lüge zu behaupten. Es sei denn, man nehme den roten Schleier und werde Kommunist Denn ein Romain Rolland kann tun, was er will: neben der Ecclesia militans bleibt er ein Mann des Gebets, ein Klosterbruder, dem vor dem Blutvergiessen schaudert, sobald er es tatsächlich sieht..

Herzliche Grüsse
Ihres
René Schickele.